Muttermilch und Nuckelflasche – Risiken für Karies?

nuckelflasche_0316_large.jpg

Extra-Tipps: Wie Sie die ersten Zähnchen Ihres Kindes am effektivsten pflegen

Viele Jahre lang diskutierten Zahnmediziner darüber, ob Muttermilch aufgrund ihres Gehalts an Laktose (Milchzucker) Karies begünstigen könne. Vor rund 20 Jahren forderten sogar einige Zahnärzte, das Stillen einzustellen, sobald der erste Milchzahn erscheint. Diese Meinung teilen die Fachkreise heute nicht mehr.
 
Vielmehr gehen Forscher davon aus, dass kein klarer Zusammenhang zwischen Muttermilch und Karies existiert. Moderne Ultraschall-Bilder machen den Vorgang des Stillens sichtbar und zeigen: Ist das Kind korrekt angelegt, umspült die Muttermilch die Milchzähne nicht, sondern erreicht den Mundraum erst kurz vor dem Rachen und fließt gleich weiter in Richtung Verdauungstrakt.
 
Gute Bakterien, schlechte Bakterien – und Zucker
Vielleicht haben Sie schon mal gelesen, Karies sei gewissermaßen eine Infektionserkrankung, die dafür verantwortlichen Mikroorganismen bringe das Kind nicht mit auf die Welt. Vielmehr würden diese Keime über Eltern, Geschwister und andere Beteiligte in den Kindermund gelangen. Solche Ausführungen gehen häufig einher mit Tipps wie „nicht den heruntergefallenen Schnuller sauberlecken“, „nicht das Löffelchen des Kindes mitbenutzen“ oder „die Temperatur des Fläschcheninhalts lieber auf der Innenseite des Unterarms testen als durch Ziehen im eigenen Mund.“
 
Prof. Dr. Stefan Zimmer, Lehrstuhlinhaber für Zahnerhaltung und Präventive Zahnmedizin an der Universität Witten/Herdecke, hat zu derartigen Ausführungen eine ganz klare Meinung: „Richtig ist, dass ein Mensch keimfrei zur Welt kommt und dass Bakterien erst danach seine Mundhöhle besiedeln. Einer dieser Keime ist Streptokokkus mutans, der nachweislich Karies verursachen kann. Deshalb erklären manche Zahnmediziner, man müsse die Besiedelung mit Streptokokkus mutans vermeiden – und könne so Karies verhindern.“
Die zuvor erwähnten Strategien dazu greifen nach Ansicht von Prof. Zimmer aber viel zu kurz: In der Mundhöhle leben bis zu tausend verschiedene Bakterienarten, deren Bedeutung wir laut des Experten größtenteils zwar nicht kennen, von denen die meisten aber sicher nützlich für uns sind. „Sie gehören nämlich zur normalen Mundflora und haben sich dort im Lauf einer langen Evolution etabliert“, so Prof. Zimmer.
 
Eine Betrachtung der Karies als Infektionskrankheit sowie nebenstehender Empfehlungen behindern nach Prof. Zimmer die Etablierung dieser normalen Mundflora – ohne die Konsequenzen abschätzen zu können: Es werde damit ja nicht nur die Weitergabe von Streptokokkus mutans, sondern auch aller anderen, nützlichen Bakterien beeinflusst. „Eine Studie hat gezeigt, was das für Konsequenzen hat: Kinder, deren Schnuller abgeleckt wurde, hatten nur 37 % des Risikos, eine Neurodermitis zu entwickeln, wie Kinder, deren Schnuller nicht abgeleckt wurde. Bei Asthma waren es sogar nur 12 % des Risikos.“
 
Keine Chance der Nuckel­flaschen-Karies!
Durch den Verzicht auf bestimmte Nährstoffe können Sie also das Kariesrisiko für Ihr Kind senken. An vorderster Stelle dieser Produkte steht säurehaltiger oder Säurebildung auslösender Inhalt von Nuckelfläschchen: Säfte, Honigmilch, Kakao und gesüßte Tees – der Begriff „Nuckelflaschen-Karies“ verdeutlicht das Risiko.
 
Prof. Dr. Stefan Zimmer: „Zuckerreiche Ernährung bietet Bakterien, die Karies verursachen können, ideale Bedingungen. Dadurch nimmt ihr Anteil an der Mundflora enorm zu und erst dadurch entsteht das Problem Karies. Karies ist also keine Infektionskrankheit, sondern eine ernährungsbedingte Zivilisationskrankheit.“
„Die Flasche dient nur der Nahrungsaufnahme oder zum Durstlöschen, nicht zum Nuckeln“, verdeutlicht Dr. Jacqueline Esch, Stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbands der Kinderzahnärzte (BuKiZ) und Kinderzahnärztin aus München. „Gut ist es daher, wenn Mama und Papa das Trinkverhalten im Auge haben und ihren Sprössling nicht mit dem Fläschchen unbeobachtet vor sich hinnuckeln lassen.“ Ganz klar: Kinder müssen keineswegs dauernd trinken, für das so genannte „Herumnuckelfläschchen“ gibt es weder aus zahnärztlicher noch aus ärztlicher Sicht Anlass. Ganz im Gegenteil!
 
Dr. Jacqueline Esch: „Gezuckerte Getränke dem Baby im Fläschchen zu überlassen, ist wirklich fahrlässig: Dauernuckeln solcher Flüssigkeiten kann rasch zu Karies führen, da die noch jungen Zähne permanent von Zucker umspült werden. Ebenfalls mit Vorsicht sind verdünnte und unverdünnte Obstsäfte zu genießen, denn sie enthalten Fruchtzucker und Fruchtsäuren. In die Flasche am besten nur Wasser oder ungesüßte Kräutertees füllen.“
 
Frühe Zahnpflege – so geht’s
Sobald ein Zähnchen im Kiefer kurz vor dem Durchbruch steht und fühlbar ist, sollten Sie sich um die Zahnpflege kümmern: Der Schmelz der Milchzähne ist besonders anfällig für Karies und schnell zerstört – achten Sie daher von Beginn an auf sorgfältige Mundpflege Ihres Kindes. Das erhöht die Chancen für gesundes Zahnwachstum und nebenbei gewöhnt sich Ihr Nachwuchs an die Kombination aus Essen und Zähneputzen.
Ab dem ersten Milchzahn sollten Sie morgens und abends den Zahn bzw. die Zähne Ihres Kindes putzen. Dr. Esch: „In den ersten zwei Lebensjahren ist einmal täglich ein dünner Film fluoridhaltiger Kinderzahnpasta zu empfehlen, ab dem Alter von zwei Jahren zweimal täglich eine erbsengroße Menge fluoridhaltiger Kinderzahnpasta.“
Ab einem Alter von zwei Jahren können Sie Ihr Kind an eine selbstständige Zahnpflege he­ranführen. „Die Eltern sind jedoch noch lange dafür verantwortlich, die Kinderzähne sauber zu bürsten: Die Botschaft ,Eltern putzen Kinderzähne sauber‘ gilt bis etwa acht Jahren“, sagt Dr. Esch.
Eine abwechslungsreiche, ausgewogene und kauaktive Ernährung sei zudem wesentlich, so die Expertin: „Bieten Sie rohes Gemüse, Obst und Vollkornprodukte zwischen den Hauptmahlzeiten in kindgerechter Form an. Hingegen sollten Süßigkeiten, Kekse, Kuchen, Riegel oder auch salzige Snacks mit Zuckergehalt wie etwa Chips ebenso wie süße Getränke die seltene Ausnahme sein.“
 
Dr. Jacqueline Esch: „Idealerweise kommen Eltern bei Durchbruch des ersten Milchzahns mit ihrem Kleinkind in die Zahnarztpraxis. Hier erhalten sie neben einer Vorsorgeuntersuchung wertvolle Informationen über mundgesunde Ernährung sowie über Mundhygienemaßnahmen, einschließlich des elterlichen Zähneputzens beim Kleinkind.“